Wann – warum – Fragen am Volkstrauertag

geschrieben an einem traurigen Tag 2015. Aber weiterhin gültig.


Warum – die unnütze Frage.

Wann – die nicht gestellte Frage.

 

Das Schlimmste aber

ist die Intoleranz

gegenüber der Intoleranz.

So wird

im Namen der Rechthaberei

das jeweils andere

brutal getötet.

 

Wann malt ein Maler ein Bild, schreibt ein Dichter ein Epos, morden

Mörder, ist Krieg? Sicherlich braucht es vieler kleiner Skizzen, Versuche,

„Anläufe“, sodann Ideen, Visionen, Phantasien, um das Bild zu

malen, geniale und/oder wunderschöne Worte niederzuschreiben.

Warum sollte das beim Mord, beim Krieg anders sein? Und in der Tat:

es ist genau so: Krieg ist nicht ein jetziger Beginn. Sondern ein Abschluss

einer Entwicklung. Der Mord ist der Schlusspunkt, nie oder

nur ganz selten ein Start.

 

Sind Attentate wie die Worldtradecenter-Zerstörung, die bislang zwei Blutbad-

Anschläge von Paris Krieg? Ja, was denn sonst? Sie sind kein Mord aus

Gründen persönlicher Vorteile, sondern politisch motiviert – das klassische

Kriegsmotiv. Und Kriege bestehen eben auch aus Morden. Soll aufgezählt

werden, welche Kriege nach dem Ende des II. Weltkrieges stattfanden, also

in einer aus europäischen, speziell deutschen Sicht „Friedens-Periode“?

Religionskrieg in Irland, Balkan-Krieg(e), RAF in Deutschland, Massenmord

in Schweden, Tote an der Berliner Mauer, Anschläge in Spanien, Italien.

Kriege im Fernen Osten, Kambodscha, Vietnam, Laos. Kriege im Nahen

Osten, Israel, Palästina, Kurdistan, Ägypten, Libyen, Iran, Irak. In Sri

Lanka, in Thailand. In Tibet. In China. Ach ja, im ex-sowjetischen Großgebiet.

In Südamerika, Falkland, Bandenkriege in zig Ländern, die Mafia hier

und dort, und dann in den USA: Massaker, Morde an Schwarzen, Hinrichtungen,

ach ja, die auch in Saudi-Arabien, China. Afrika – Aufzählung fast

unmöglich. An die 300 bewaffnete Konflikte, also Kriege, (an über 200

waren die USA beteiligt) in rund 150 Ländern seit „Ende des Krieges“, dem

2. Weltkrieg. (http://www.danielpipes.org/4990/arab-israeli-fatalitiesrank-

49th)

 

Zahlen zum Schaudern

 

Erinnern wir uns noch, dass Rotchina 40 Millionen Menschen tötete, die

Sowjetunion 10 Millionen, in Äthiopien 4 Millionen starben, ähnlich wie in

Zaire. Der Irankrieg in den 1980er Jahren forderte 1 Millionen Opfer, in

Marokko 20.000, 22.000 in Polen (nach dem 2. Weltkrieg!, längst vergessen),

in Albanien 100.000, in Argentinien 30.000, auf dem Balkan jüngst

ca. 175.000. Ach ja, 500.000 Urbewohner wurden übrigens in Brasilien

getötet. Afghanistan 1,8 Millionen … alles vergessen? Und jetzt sterben

bei IS-Anschlägen „nur“ einige Dutzend. Logisch, klar, ohne jede Frage

und Zweifel, selbstverständlich: Jeder, wirklich jeder Tote ist ein Toter

zuviel. Aber eben nicht nur 100, 200, auch 5.000 bei „islamischen Attentaten“,

sondern auch in und durch die Kriege der „westlichen, zivilisierten,

friedliebenden“ Welt !!!

 

11 Millionen Muslims sind seit 1948 tödlich verletzt worden. Viele von ihnen

durch „den Westen“. Das entschuldigt keinen einzigen weiteren Mord

durch Fanatiker, die den Islam lediglich als Vorwand für ihre Terror-Attentate

kapern. Aber die Zahl hilft vielleicht, die daraus resultierende Gemütslage

zu begreifen — viele Muslime fühlen sich unterschwellig bedroht;

das öffnet Tür und Tor für Hetzpropaganda. Was mit Billigen der islamistischen

Attentate nichts zu tun hat. Aber mit Verstehen. Um auch zu wissen:

wir stehen weder am Anfang noch am Ende eines Krieges. Wir waren noch

nie anders als „mitten drin“.

Wie kommt eigentlich irgend jemand darauf, jetzt schockiert zu sein, es

gäbe ja mörderische Krieger – scheinbar erst jetzt, auf einmal und plötzlich,

schockierend unerwartet? Selbst der Papst wagt die Floskel vom 3.

Weltkrieg – dem dann wohl islamistischen. Richtig jedoch Islam-Kriege:

gab es schon immer. Christen-Kriege: gab es unzählig viel. Viel, viel mehr

als „arabische“.

 

Das Leben ist nicht frei von Risiken

 

Dieser oft ironisch benutzte Satz ist ernster zu nehmen, als man meinen

mag. Denn „Zivilisation hat ihren Preis“. Das, was uns scheinbar das Leben

angenehmer und leichter macht, nimmt es statistisch gesehen uns auch in

großer Zahl. „Zivilisationskrankheiten“ sind heute Todesursache #1 in so

genannten Industrieländern, die eher zu „Schreibtisch- und Autofahr-Ländern“

geworden sind. Mit drastischen Folgen. Eine Meldung als Beispiel für

dutzende, die aufgeführt werden könnten:

 

Millionen Tote weltweit durch Feinstaub

Dieselgeneratoren, Öfen, Holzfeuer und Landwirtschaft sind die Hauptverursacher

22.11.2015 Baierbrunn (ots) - Weltweit sind im Jahr 2010 mehr als drei Millionen

Menschen an den Folgen der Feinstaubbelastung gestorben. Das folgern

Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz, berichtet die

"Apotheken Umschau". Die Wissenschaftler analysierten Daten zu Luftverschmutzung,

Krankheiten und Todesursachen. Die größte Feinstaubquellen

seien Dieselgeneratoren, kleine Öfen und Holzfeuer, die viele Menschen in

Asien zum Heizen und Kochen verwenden. In Europa, Russland, Japan und

dem Osten der USA wird die Luft stark durch Landwirtschaft verschmutzt. Dritte

weltweite Ursache seien Kraftwerke, Industrie und Straßenverkehr.

 

Kriegserziehung

 

Der Kriege gab es so viele, dass sie längst Kinderkram geworden sind. Kinderballerspiele,

mit denen ganz große, ganz angesehene, ganz global agierende

Konzerne und Firmen satte Gewinne generieren. Töten als Spaß.

Morde bringen Punkte und Vorteile. Die Eroberung fremder Länder als Gewinnspiel.

Hollywood ohne Knallen, Explodieren, Ballern, Schießen, Sterben,

ohne Sturzbäche an Blut und fetzige Gedärme – undenkbar. Morgens

am Sonntag, dem Gottes-Dienst-Tag, um 7 Uhr im deutschen Fernsehen

speziell für Kinder (Eltern schlafen ja dann noch und überlassen die Kinder

den Gewalterziehungsverführern) Zeichentrickfilme voller Gewalt, Schlagen,

Zerstören. Und es ist noch nicht lange her, da galt nur als echter

Kerl, wer die Schule des Tötens hinter sich hatte, Landesverteidigung/

Wehrdienst genannt. Selbst die friedlichsten Länder halten an diesem Killertraining

bei. Politiker halten Abschreckung für notwendig. Abschreckung

ist ohne Bereitschaft zum Mord, zum Krieg, zum gnadenlosen Töten nicht

existent.

 

Deutschland ist Waffenexporteur #3 in der Welt, in Umsätzen gemessen.

Waffen, die dem Frieden dienen? Braucht man, um friedlich zu sein, Maschinengewehre?

Braucht man, wenn man tolerant ist, Atom-U-Boote?

Braucht man spreng- und Brandbomben bestückte Drohnen, wenn man

verhandeln will? Fast 90 % aller Kriegsopfer sind Zivilisten, also „Unschuldige“

– so wie die in Paris oder Manhattan, in London, Paris, Schweden.

So wie in Israel und Syrien, in Palästina und dem Irak.

Der Westen, immer mal wieder durch „islamistische“ Attentate bis ins Mark

erschüttert, macht den nahöstlichen Terror materiell erst möglich. Kein

einziges Gewehr wird in Syrien gebaut. In Paris wurde mit russischen Ge-

 

wehren gemordet – Russland fordert nun eine Bestrafung der „feigen Mörder“.

Leicht gesagt, sie sind ja schon tot.

Die Schlacht, oder makabrer, aber richtiger, das Schlachten von Paris fand

vielleicht am 13. November 2015 statt, aber sie begann nicht an diesem

Tag. Sie begann vor Jahren, Jahrzehnten. Sie war nicht die Tat Verwirrter,

sondern bestens mit russischer und/oder westlichen Waffen Ausgerüsteter.

 

Ablenkungs-„Manöver“

 

Jetzt schallen all die Worte derjenigen durchs Land, die andere Entwicklungen

keineswegs als beklagenswert kommentiert haben; es sei der Vorwurf

unterdrückt, dass genau diejenigen, die nun am lautesten wehklagen,

auch verantwortlich dafür sind, dass Krieg und Morden, Gewalt und

Intoleranz längst zum Ideal heranwachsender Menschen geworden ist.

Betrug überall. Krieg überall. Gewalt überall. Ob man denn nun das etwas

verstaubte, in die Jahre gekommene, der sozialistischen Ideenwelt zuzurechnende

Wort Ausbeutung benutzt oder neuerdings TTIP, ganz neutral

Embargo, verschleiernd Schengen-Abkommen: Die Welt ist durchsetzt von

der Tatsache, dass man immer nur den jeweils eigenen Vorteil sucht und

zu diesem Zweck andere ausgrenzt. Ehrlich ist das nicht. Aber üblich. Und

wie soll in einer solchen Geisteshaltung plötzlich kristallklare, unerschütterliche,

vor allem aber bedingungslose und sich selbst zum Opfer bringende

Bruder- und Nächstenliebe zu erwarten sein? Wie denn?

Einst waren auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik jährlich 21.000

Verkehrstote „normal“, heue sind es etwa 3.400, rund 10 am Tag. In Europa

jährlich 700.000 Tote durch Lungenkrebs, die dem Rauchen (und damit

Drogen, an denen der Staat mächtig verdient) zuzurechnen sind. 300, 400

Mordopfer jährlich in Deutschland. Wieviel durch zuviel Fett und Zucker in

der Nahrung – und erst durch Alkohol! – schleichend getötet werden – es

existieren nur Dunkelziffern, aber die sind grausam hoch. Tödliche Autos,

tödliches Essen, tödliche Genussmittel, an denen „verdienen“ Staat und

Industrie. Sie werden mit brutaler Gewalt dem Volk „verordnet“, um an

ihm zu verdienen. Dies ähnelt nicht nur, das ist wie eine Okkupation, wie

eine Besetzung des Landes durch fremde, egoistische und „aussaugende“

Kräfte. Keiner sagt dies so. Niemand kann belegen, dass es nicht so ist.

 

Mediale Kriegsführung

 

Jetzt nun in Paris, Carlie Hebdo und Freitag, 13. 11. 15, als „die Welt geht

unter, die Hölle tut sich auf“ zu zelebrieren – wie es die Medien mit einer

an Widerlichkeit nicht mehr steigerungsfähigen Quotenhascherei und

Volksverdummung tun, ist ein Tiefpunkt journalistischer und gesellschaftlicher

Kultur in Deutschland. Zwei Tag nach dem „Massaker von Paris“ ist

Volkstrauertag, der 15. November 2015, in vielen Ländern – auch in

Deutschland – ein Gedenktag für die Kriegsopfer.

 

Deutsche Medien bevorzugen die Hysterie über das Momentane. Der zig,

zig, zig Millionen, die in jüngster Vergangenheit qualvoll und unschuldig,

sinnlos und durch geduldete Gewalt starben, „opfert“ man eine kurze

Pflichtübertragung in einem staatlich angeordnet vom Volks subventionierten

Sender. Dann redet der Bundespräsident und kaum einer hört hin.

Während im übrigen auf allen Sendern die Sondersendungs-Schlachten

toben.

 

Ob gesteuert oder Zufall: Ermüdet und ermattet von diesem Wiederholungs-

und immer-das-gleiche-Marathon sinken Bürger erschöpft zurück

und denken sich: Gut, dass der Krieg vorbei ist. Ein Krieg, der nie begann

und nie endet, der immer ist. Weil wir, „der Westen“, daran unseren Profit

haben. Weil es Teil unseres Denkens ist. Und weil sich dadurch anderen

Religionen und Kulturen ermutigt sehen, es uns gleichzutun – oder gleiches

mit gleichem zu vergelten.

 

 

Eigentlich wäre ein Kriegsende möglich

 

Es ist nicht schwer zu verstehen, dass Attentate und Kriege auch weiterhin

unseren Alltag bestimmen. Es ist nur schwer zu ertragen, dass dies nie

aufhören wird – weil es auch keinen unmittelbaren Anfang hatte, sondern

metapherhaft gesprochen „mit dem Menschen in die Welt kam“.

 

Übrigens: Dies zu überwinden fordern viele Religionen auf. Unter anderen

auch Christentum und der Islam – neben „asiatischen“ und Naturreligionen.

Sehr, sehr viele Millionen Gläubige aller Religionen halten sich daran,

beten, arbeiten, handeln danach und dafür, sie üben Toleranz und sind

„vernünftig“. Nur eine Minderheit an verbrecherischen Egoisten, gewaltbereiten

Kriminellen zwingen uns immer wieder neue Kriege auf – auf allen

Seiten, in allen Ländern, Kulturen, Religionen. Sie nutze die Lethargie des

Volkes und dessen allgemeine Unfähigkeit, sich über Worte hinaus wirklich

faktisch zu solidarisieren. So wie es in Ansätzen etliche Male als nationale

oder internationale Revolution stattgefunden hat. Aber immer wieder wegen

fortgesetzter individueller Hilflosigkeit kläglich scheiterte.

 

Dabei gibt es einen Weg, der tief in vielen Religionen verwurzelt ist, der

aber erstens so unendlich schwer zu verstehen und dann auch noch fast

unmöglich zu begehen erscheint: Verzeihen, um der Gewalt keinen Chance

lassen, im Denken anderer Schaden anzurichten.

Und – müssen wir dazu nicht auch die Mörder töten? Die „Spirale“ der

Gewalt ist Ursache, dass es permanent Krieg gibt. Was ist die Logik, sie zu

beenden?

 

Der Volkstrauertag ist eine gute Gelegenheit, die nächsten 365 Tage bis

 

zum nächsten Volkstrauertag darüber vor-, nach- und querzudenken.