Man kann es auch übertreiben. Und tut dies auch.
Ein paar Namensänderungen sind angebracht. Aus Ramadan – auch zu deutsch Fastenmonat – wird Nachtessen-Periode. Aus Jom Kippur werden Ruhetage. Das buddhistische Vesakh-Fest wird Buddha-Superman, Vater- und Muttertag haben wir ja schon (Wurzeln: berlinerische Trinkfestigkeit und amerikanisches Profitstreben der Blumenhändler). Ostern ist dann Eierfest und Weihnachten die Gifts-Night.
Das jedenfalls legt nahe, was jetzt bemühte “wie verhindern wir Integration”-Eiferer der Nordstadt Solingen an den Tag legen.
Wir erinnern uns: Deutsche als Gutmenschen wollen alles besonders gut machen; mithin möchten sie, dass die, die hier fremdeln, sich bei uns wohl fühlen. Wir raten dann mehrheitlich und seit Jahren gebetsmühlenartig-mantramurmelnd wiederholend zur Integration. Im Sinne: fühlt Euch doch bitte mitten zwischen uns wohl und wie zuhause.
Womit wir irren. Weil Integration wörtlich mit Erneuern zu übersetzen ist, beruht das Wort doch auf dem Lateinischen integrare – und nicht auf integer, unberührt. Nein, es geht ums Erneuern, integrare, Integration. Nicht, wie wir tumben Bürger immer angenommen haben, um das “Hineinwachsen” oder “aufnehmen” in Bestehendes. Um Neues geht es, wenn es um Integration geht. Also um radikale Veränderungen des Bisherigen.
Genau das ist denen gelungen, diesen Eifereren, deren Eifer eher Zweifel zu wecken imstande ist. Weil sie den guten, alten, sinnhaltigen, Barmherzigkeit, Brüderlichkeit, Freude am Teilen, gut-zueinander-sein-Gedanken zelebrierenden St. Martin ganz einfach vom Pferde verbannt haben. Und nur noch das Pferd gelten lassen.
St.-Martins-Umzüge waren und sind emotional, so dass sich die Story einprägt. St. Martin, der den Armen konkret und selbstlos hilft. Dass er zufällig auch ein katholischer Heiliger ist – stört das irgendwen?
Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Mitleid und konkrete Hilfe für die Bedürftigen: Mir ist nicht bekannt, dass eine Religion dieser Welt diese moralischen Gebote oder Grundsätze nicht voranstellt. Ich kenne keine von denkenden und geistig regen Menschen ernst genommene religiöse Philosophie, die Hass und Gewalt, menschliche Kälte und Hilfsverweigerung zum Inhalt hat; ich kenne nur Personen(gruppen), die dies praktizieren – außerhalb jeglicher akzeptabler Moral.
Also ist St. Martin doch eigentlich, ob katholisch oder nicht, who cares, genau das Symbol, das derzeit in der politischen Situation Europas 2015 mit seinem neuen Status “Flüchtlings-Aufnahme-Staaten” zu sein, braucht.
Dieser St. Martin ist doch genau das, was wir uns vor Augen halten können, um zu begreifen: Liebe Deinen Nächsten. Lass ihn bildlich wie wörtlich weder frieren noch hungern. Hilf im konkret mit dem, was Du Dein eigen nennst. St. Martin, außerhalb aller religiöser Gefühls- und erst recht Dogma-Welten: Exakt das ist, was wir jetzt brauchen, um wieder Mut und Tritt zu fassen.
Dieser St. Martin kann einem sympathisch sein, Vorbild, Ansporn, Leit-Idee, egal, welcher Religion, welchen Glaubens man ist – außer, man hätte Hass und den Leidenden verrecken lassen als sein Ideal.
Doch dann dies aus der Solinger Nordstadt. Da wird ganz offiziell der St.-Martins-Umzug, diese wallfahrtähnliche gemeinsame Gedenkveranstaltung für Teilen, Helfen, Not lindern zum - - - banal-blöden
“Lichterfest mit Laternenwanderung”. Wird also, und das ist wirklich nicht banal, sondern blöd (Blödheit per Definition = Urteilsschwäche und Mangel an Selbstvertrauen) seines Sinnes beraubt, indem der Name, der Symbol war und ist, verschwindet. Warum? Was hat das für einen Zweck außer dem, die Gesellschaft, in der wir leben, neu zu gestalten. Indem wir die alten Werte, die gut waren, denen man vertrauen konnte, völlig ohne Not und dazu noch an der falschen Stelle kippt, tötet, verschwinden lässt. Und damit Werte-Mangel fördert.
Gerade für Kinder, die emotionale Führung brauchen, suchen, zu Grundsätzen verfestigen, eine katastrophale geistige Kastration oder eine emotionale Vergewaltigung. Das Besondere wird zum Tralala zurückgestuft. Hurrah, wir treffen uns bei der nächsten Night-food-Party im Ramadan, oder?!
Deutschland ist ein Land, in das derzeit Geschundene aus vielen Ländern fliehen, weil sie hier neben materiellem Auskommen auch moralisch-geistige Stabilität erhoffen. Wie wollen wir das bieten, wenn wir dabei sind, das, was gemeinsames Kulturgut ist, wie eben die Grundhaltung, die durch St. Martin symbolisiert wird, ganz einfach abschaffen. Unterscheiden wir bald nicht zwischen “Unbarmherzigen” und “Spendern”, sondern einzig zwischen Echtlicht- und LED-Fackelträgern?
Hätten nur akademisch verquerte Sozialtheoretiker diesen ganz fürchterlichen Quatsch erfunden, man könnte es ja deren mangelnder Kenntnis zuschreiben. Dass aber der Aufruf sehr wohl auch die Unterschrift der AWO, also eines Wohlfahrtsverbandes trägt, macht fassungslos, lässt ungläubig staunen. Die gleiche AWO, die als lobenswerte Institution Flüchtlingen massiv hilft, die von Mitbürgern Spenden erwartet und braucht (also St.-Martins-gerechtes Teilen !!!!!!!!!!!!!!!!!! ), dieselbe AWO deklassiert das symbolische St.-Martins-Epos zum bloßen Abenteuer-Massengetrampel bei Dunkelheit. Fehlt jetzt nur noch, dass die Kids nicht selbst laufen, sondern von Hubschrauber-Eltern per SUV und Zweitwagen zum Lagerfeuerabenteuerspielplatz gefahren werden. Das Feuer besteht eh aus LED-Funkellichtern a la Nikolauszipfelmütze, app-gesteuert, nehme ich an.
Ich habe ja lange nicht mehr gebetet. Aber heute fange ich an: Herr, lass Hirn regnen. Weil wir bald an dem dürsten, was uns geistige Nahrung sein muss: Hoffnung, es gäbe noch eine religions-übergreifende Moral auf der Welt.
Oder konzentriere ich mein Hilfeersuchen vielleicht sogar auf die und den falschen. Denn herausgegeben ist das Plakat vom – Oberbürgermeister der Stadt Solingen. Nun, es ist noch der alte, der tritt in diesen Stunden übrigens ab. Und ein neuer kommt. Der wiederum kommt – von eben jener AWO, die mitunterschreibt, dass Deutschland keinen St. Martin (mehr) kennt, sondern nur noch Lichterwanderungen. Und dieser neue Solinger OB ist zugleich oberster Vertreter der katholischen Gläubigen im Rheinland. Wie wird der seinem Bischof erläutern, was jetzt zu fordern ist: Wird aus St. Martin und den an ihn erinnernden Umzug eine Lichternacht, muss jedes Hochamt im Dom ab sofort konsequenter Weise auch Klingeling-Fete heißen, Christi Himmelfahrt wird zum Orbit-Tag, die Kommunion zum come-in, Karfreitag zum hang-up-day und Ostern zum back-to-life-happening.
Daher mein erneutes Stoßgebet: Herr, lass ... - - ach was, lass es, es ist sicher schon viel zu spät. Wir haben ja Integration. Erneuerung. Da hast Du eben nichts mehr zu sagen.
Basta.
St. Martin übrigens auch nicht, wenn es Dich tröstet.
Wenn wir in Deutschland die Basis unseres Denkens, Moral, unserer Werte verleugnen und beseitigen – ja, warum soll sich dann in diesem Land noch jemand wohl fühlen? Dann haben wir Multi-Kulti endgültig abgeschafft. Weil Deutschland seine Kultur verloren hat – oder eben, ich bleibe dabei, aus Blödheit verleugnet. Die Sprachwurzel Blödheit ist auch auf „schwach, weich” zurückzuführen. Symbolisch: kraftlos, ermattet, und damit auch hilflos.