Künstler. Die permanenten Flüchtlinge, Asylanten, kaum Geduldeten.

Ein Essay. Aus konkretem Anlass *)



Kunst ist immer fremd. Wenn nicht, heißen die gleichen Gegenstände, die eigentlich Kunst waren, sind, Dekoration und Schmuck oder als Kunst Dargebotenes ist bloße Unterhaltung, „Vergnügen“. 


Kunst ist immer fremd, in den Köpfen der Betrrachter. Das ist ihr Wesen, Wollen, Wirken. Kunst ist, einerseits, das, was existiert, neu zusammenzufügen – und insofern Kreativität, Schaffenskraft. Und andererseits ein interaktiver Prozess, bei dem der Künstler die Betrachter oder Zuschauer/-hörer vor die Aufgabe stellt, über das Gebotene, Gezeigte, die Performance oder das Gegenständliche hinaus eigene Gedanken weiterzuspinnen, Emotionen zu spüren und wirken zu lassen – halt als denkend-fühlend-erkennend-sich_erinnerndes Wesen aktiv zu sein. 


Kunst ist immer fremd, wenn sie es schafft (und das sollte Kunst eigentlich immer schaffen, weil es sonst bloße Masche ist, vornehmer ausgedrückt: Stil), Verblüffendes, Überraschendes, „sieh da!“ und „ach nee!“ oder „versteh’ ich nicht“-Momente zu schaffen. Weil nicht nur, wie Goethe meinte, jedem Anfang ein Zauber inne liegt. Sondern auch jeder Kunst – eben weil sie ein Anfang ist, sein soll, sein muss. Der Anfang eines Denk- und Empfindungsprozesses; oder eher umgekehrt, erst die Gefühle, dann die Ratio.

Kunst braucht keiner. Also will auch keiner so recht Kunst haben – oder dafür bezahlen. Bis auf wenige Ausnahmen. Freaks, Neards, Idealisten und Feingeist-Esoteriker, die man gerne als Kenner lobt, weil sie den Künstler entlohnen. Kunst in unserer Gesellschaft, im Bewusstsein von Politik: Ein glühendes Bekenntnis, ja ja, die und das brauchen wir, unbedingt, ganz ohne Frage – und dann: entweder massive Investitionen in weniges und Spektakuläres oder gänzliches Ignorieren der gesamten. Kunst ist immer fremd, auch der Politik.


Schade, dass unsere sehr schöne, differenzierte, ausdrucksreiche deutsche Sprache derzeit systematisch kaputtgemacht wird, dass Etymologie – also Herkunft und Bedeutung von Sprache – nicht mehr im allgemeinen und überwiegenden Bewusstsein der Menschen existiert; oder auch Weisheiten der Vergangenheit, konserviert in Geflügelten und Sprichwörtern, schlichtweg vergessen wird. Sonst stände einem da vor Augen „Kunst kommt von Können“.


Bis ins 18. Jahrhundert war hierzulande Kunst und Handwerk, Ausdrucksfähigkeit und Nützlichkeit ein und dasselbe, identisch. „Artifizielles“ im Sinne von „Kunst jenseits des Alltags“ ist eine (ziemlich blöde) Idee, die so lange noch gar nicht existiert. Bis dato galten Baukunst und Schwarze Kunst, ärztliche Kunst und Kochkunst – und überhaupt: alle Künste – als ehrliches Handwerk. Eben: Kunst und Können, Spirituelles und Dingliches waren identisch, untrennbar; ein Yin und Yang in jeglichem.


Das Wort Kunst wiederrum entstammt der altgermanischen Sprachwurzel kunnan, gleichbedeutend mit erkennen, wissen, kennen, führt Wilhelm Kufferath von Kendenich aus. „Kunst ist Könnerschaft“, was grundsätzlich erklärt warum Kunst oft fremd bleibt: Könnerschaft setzt Kennerschaft voraus.


Wer etwas kann, vor allem, was andere nicht können, muss zwangsläufig als unheimlich, anders, verrückt, spinnert, provozierend, sich querstellend, störend, unpassend angesehen werden. Alles fremde macht Angst. Angst macht Feindbilder. Feindbilder führen zu blinder Aggression. 


Wir erleben dies – ach was, nicht erst (wieder) in jüngster Zeit, sondern schon immer, unentwegt, überall. Nur eben an einem Ort, in eines jeden Menschen Lebenszustand mal gerade mehr, mal weniger intensiv und bewusst. Was fremd ist, gilt es zu verjagen, um das eigene Ideal zu schützen und zu verteidigen. So einfach ist es eigentlich; im Sinne von Art- und Selbsterhaltung haben wir diese Theorie (die Praxis ist) längst alle und immer wieder abgenickt. Für natürlich gehalten. 


Und insofern ist es natürlich – und verständlich –, wenn man reflexartig Fremdes ablehnt, ob es als Narretei oder Überlebenskampf Menschen anderer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Kultur, politischer Infrastruktur daherkommt, oder eben als Kunst, die einen vor neue mentale Herausforderungen stellt. Und seien sie noch so banal. 

Solche Fremdlinge schickt man ins, gewährt ihnen kaum oder kein Asyl, lehnt man ab, hält man sich vom Leib und davon am liebsten fern. Ergo auch von Kunst. 


Wäre da nicht, was Kunst ist: erkennen, kennen, wissen; etwas idealistisch erhöhter transponiert als Einsicht und Verständnis, daraus resultierend Mitgefühl (Empathie) und Toleranz. 


Und nun kann man genau auf dieser Ebene den Maßstab anlegen: Wer duldet, ist zur Einsicht fähig. Oder umgekehrt: Wer erkennend ist, wird auch in dem Maße toleranten, wie in ihm die Erkenntnis wächst. Wer etwas kennt, dem ist dies nicht fremd. 

Das gilt für Menschen – und auch für die Kunst; dies gilt für alles. Wenn Kunst keine Akzeptanz, kein Zuhause hat, nicht geduldet wird (und damit der jeweilige Künstler auch nicht!), dann nur, weil die, an die sich die Kunst richtet, kein Wissen, Erkennen, aus beidem resultierend Verstehen haben. Denen muss man, zwangsläufig, fliehen, sie werden einen in die Flucht zu schlagen versuchen. Ob als gesellschaftlich-politisches Massenphänomen oder im Einzelfall, ob wegen Herkunft, Gesinnung, Religion, Ethnie – oder auch wegen der und gegen die Kunst, die sich präsentiert. Kunst ist denen, den Nicht-Wissenden, -Verstehenden, -Kennenden und -Könnenden, immer fremd, so wie ihnen auch Menschen fremd sind, die anders sind als sie. 


Kunst teilt das Schicksal der Menschen, die das Pech haben, irgendwann aufgrund unverschuldeter Umstände irgendwo fremd zu sein und trotzdem um Bleibe bitten, flehen. Die Zuflucht brauchen, ein Ort der Ruhe und Sicherheit, des Rückzugs, des „hier darf ich sein, wer ich bin: ich selbst“. 


Kunst kennt das. Seit es Kunst gibt als eine Form der mentalen Unterscheidung von „Praktischem“ und „Unnützen“. Nur, so will man als Gutmensch gleich ausführen, ist ja das Schicksal derjenigen, die als Individuum, Mensch wie Du und ich, in Not und Pein und Angst und Unsicherheit und nicht selten Perspektivlosigkeit, in Trauer, Wut und Verzweiflung sind, ungleich dramatischer und wichtiger als das Schicksal von ein bisschen Kunst, ein paar launiger Künstler. 


Ja. Und nein. Ja: fürs erste und auf der Stelle. Nein, was den Fortgang betrifft. Denn Kunst ist es, die befähigt, über das Ist, das Jetzige, das war-immer-schon-so hinaus zu denken; neue Sphären der Erkenntnis, des Wissens, des Kennens zu erschließen. Kunst ist es – und nichts anderes. Gleichgültig, ob man Kunst mit Können im Sinne von Handwerk und Meisterschaft gleichsetzt oder Kunst als provokative Form der Kommunikation deutet, benutzt, fördert und befähigt. Nur Kunst – was denn sonst, außer Kunst, da ja alle Wissenschaft auch Kunst ist !!! ??? – soll denn die Überwindung von Angst und Unwissen, von Fremdsein und Nichtverstehen überwinden?


„Kunst baut Brücken“, sagt der Künstler Zoran Velinov. Banaler kann ein Gedanke, ein Satz nicht sein. Geistreicher aber auch nicht. Ja, Kunst ist das, was hilft, aus Asyl Heimat zu machen; im ideellen, idealen, mentalen, vergeistigtem Falle ebenso wie für das reale, brutale, fatale Leben in einer Welt, die schon immer Krieg und Vertreibung, Kampf und Fremdenhass kannte, kennt, kennen wird. 


In einem Volk, Staat, politisch-gesellschaftliches Gebilde, in dem Kunst kein Asyl hat, wenig Akzeptanz, Ausgestoßenheit und -sein erfährt, das sich um Kunst nicht kümmert, werden auch Menschen, die ihrer Heimat vertrieben wurden, kaum wirklich Asyl im Sinne von Aufnahme und „bist einer von uns“ erfahren. Man wird sie herumstupsen. So wie die Kunst. 



*)  Aus. Ende. Vorbei. — Bis zum 1. November 2015 sind alle city-art-project-Aktivitäten der Kunst aus den Solinger Clemens-Galerien verschwunden.

Die neuen Eigentümer kommen mit einem anderen Konzept, einem Outlet-Center – im nächsten Jahr. Bis dato will man uns nicht mehr dabei haben. 
Danke und „Hut ab” für die Überlassung der Räume durch den vorigen Eigentümer und die Unterstützung durch des Center-Management.
Die city-art-project-Zeit in den Clemens-Galerien ist bald nur noch Geschichte.
Aus jedem Traum gibt's ein Erwachen.
Aber schön war's !!!


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