Zukunft Solingen – Hinweise auf Antworten

Ernst Martin Walsken, Ex-MdL für und aus Solingen, riskiert einen Blick auf die Politik und Probleme seiner Heimatstadt ... - - - aber immerhin: er lächelt dabei. 


Je klüger der Kongressbesucher, desto zufriedener. Und umgekehrt.

In meinem Berufsleben habe ich viele Hundert Kongresse erlebt; manche erlitten, viele genossen. Und dabei jene Menschen kennengelernt, denen man sarkastisch raten kann, geh' nach Hause, Du lernst es nie. Und andere, die lange geredet haben, was man alles sofort wieder vergessen hat, und es kam ein einziger Satz, ein singulärer Gedanke vor, der schon den ganzen Aufwand der An- und Abreise und der Teilnahme lohnenswert machte. 

Kongresse als Teilnehmer „konsumieren” ist Rosinenpicken. Oder Goldwaschen. Unter zig Kilo und Zentner (Wort- und Gedanken-) Geröll dann das eine, wertvolle Körnchen Wahrheit, Klarheit, Verständnis, „Erleuchtung“. 

Die, die immer schon alles besser wussten, wissen und doch nicht im Ansatz von irgendwas eine Ahnung haben, waren auch diesmal dabei, aber es waren derer wenige (zum Glück und zu meinem Erstaunen). Die meisten haben nach-, vor- und quergedacht, zugehört, waren geduldig und gingen am Schluss mit dem Gefühl nach Hause, es wäre wirklich etwas geschehen, was schlecht in Worte zu fassen ist. Es war plötzlich Hoffnung da. Weil vieles, was gesagt wurde, zwar die Dimension der Dilemmata aufzeigte, aber auch Perspektiven zeigten, sie zu überwinden. 

Am schlimmsten sind bei Kongressen immer diejenigen, die maulen, man hätte nichts Konkretes gehört und es wären jetzt noch mehr Fragen aufgeworfen. Das sind die Denkfaulen, die sich selbst disqualifizieren. Denn wer schlau ist, nennen wir es ruhig einmal so, der weiß genau, dass gute Redner ihre Antworten immer in Fragen verpacken, die im Raume stehen und deren Antwort beginnt, einleuchtend zu sein ... wer Hirn hatte zu denken, konnte bei diesem Kongress von diesem Prinzip reichlich profitieren. Die anderen hatten allenfalls Vergnügen an der mittäglichen Currywurst.       (hgw)


Nennt Die, die sich in Deutschland wohlfühlen, doch einfach "Deutsche".

Dr. Lale Akgün, deren (Lebens-) Werk mit dem Begriff Integration in Deckung gebracht wird, ist eine Frau der Pragmatik; mit Augenzwinkern gesagt: obwohl sie Psychologin ist! Lale Akgün nimmt den Stier bei den Hörnern. Hört auf, sagt sie, so blöde Begriffe zu benutzen wie "Migrationshintergrund" und überhaupt "Migration". „Deutsch“ sein, sagt sie, ist doch ganz einfach Bürger dieser Republik zu sein, ihre Werte zu bejahen und nach eigener Fasson selig zu werden – wer hätte gedacht, dass der olle preußische Fritz damals schon gelöst hat, was heute mit den vermeintlichen "Ausländern" angeblich ein Problem sein soll. Ein jeder nach seiner Fasson, und schon ist Multi-Kulti keine abstrakte Formel, sondern Bereicherung und neue Lebenskraft. Wenn sich Ostfriesen und Bayern vertragen, mitten in Deutschland, wieso nicht auch Türken und Portugiesen, mitten in Deutschland? Schon oft hat Lala Akgün den Gedanken durchdekliniert, nicht immer wurde sie verstanden: das Problem der Migration entsteht, weil man Migration thematisiert. Lasst doch den Dingen ihren Lauf – und diesen Mut zu haben, wow, das ist wahrlich Innovation pur. 

Mut. Kraft. Stärke. Freude am Neuen. Wer hätte je gedacht, Deutschland sei zu so etwas fähig. 

Ach, übrigens, Lala Akgün deutete auch dezent an: Wenn die Deutschen dazu nicht fähig sind, Menschen anderer Ethnien sind es durchaus ...

Bleibt zu erwähnen, Lala Akgün sagte auch, welche Stadt, wenn nicht Solingen, sei besser geeignet, hier "Leuchtturm-Projekt" zu sein und zu zeigen, wie es geht. 

Das knüpft an das an, was Kongress-Initiator Andreas Schäfer zu Beginn gesagt hatte: Wieso kommen 30 Prozent der Solinger Bevölkerung – nämlich die Nicht-Solingen-Gebürtigen nicht-deutscher Kultur-, Religions- oder Abstammungs-Herkunft – eigentlich nicht in der gebührenden Anteilsstärke in allem auf, was Solingen öffentlich, politisch, gesellschaftlich tut, wie es ist ... ???

Solingen ist die „Klingenstadt“. Es könnte sein, diesre Stolz bricht ihr das Genick.

Schön, schön. Wir Solinger wissen, wir sind (fast) der Nabel der Welt in punkto Messer, Gabel, Löffel, Schere, Schwerter und chirurgischer Instrumente. Und so weiter. Manche Deutsche wissen das auch (noch). Gelegentlich Menschen irgendwo auf der Welt auch. Aber "die Welt" summa summarum, weiß die eigentlich wofür Solingen steht? Paris steht für ...., Rom ...., London, Tokio, Rio de Janeiro, Berlin, Rothenburg ob der Tauber, München - - - - - aber: Solingen? Wer sind wir, was wir der Welt sagen könnten? Wieso sollte sie uns beachten? Warum sollten Menschen den Wunsch haben, hier zu wohnen, hier zu arbeiten. Kann man hier studieren? Gibt es hier Kultur?

Ist es wirklich so schlimm, dass die Kultur nicht im Solinger Theater stattfindet (jedenfall nicht so massiv und so oft und so international), sondern im ganz nahen Düsseldorf, dem Vorort von Solingen namens Köln, im benachbarten Essen, Wuppertal, Dortmund, in Bonn oder dem nur 1,25 Zugfahrstunden entfernten Frankfurt am Main? Weiß die Welt, dass man in Solingen im fast ziemlich total Grünen wohnen kann, vier Flughäfen in der Nähe hat (ach was: sechs!), in einer Fahrstunde (die braucht man in New York für 2 Kilometer) mindestens vier Opernhäuser, zig Theaterbühnen, Kabaretts, über Hundert Museen, davon viele von Weltruf? Müssen wir wirklich uns schämen, Provinz zu sein oder wäre es nicht eine wunderbare Zukunft, wir wären die erholsame Peripherie eines wirtschaftlich prosperierenden Rheinlandes. Nur, verdammt noch mal, baut endlich die Straßen, damit wir es auch sein können. Und macht nicht neue Gewerbegebiete, die woanders viel besser und sinnvoller anzusiedeln wären und macht Solingen endlich zu dem, was es ist: einer Stadt der Ruhe, Erholung und Lebensfreude. 

Klar, dafür müssen Gewerbesteuern und andere Zuschüsse anders verteilt werden. Aber genau das zu tun, ist Innovation. Innovative Politik, die das Kirchturmdenken überwindet. 


Es gibt wahrlich viel zu tun. Nur: wer soll es tun?

Authentische Aussage während des Kongresses: „Wie sollen das die Kommunalpolitiker denn auch noch alles schaffen?“. Antwort: genau die nicht und der Gedanke ist genau der falsche. Richtig wäre: Wir brauchen neue demokratisch-formale Strukturen. Die Grundüberlegung, „Ratsherren“ (auch wenn es inzwischen etliche Frauen sind) könnten „die Geschicke einer Stadt“ richtig bedenken und entscheiden, ist mit jedem Tag mehr falsch, der ins Land geht. Wir brauchen neue Gremien, solche, die von Sachverstand bestimmt und nicht nach politischem oder gesellschaftlichen Proporz dominiert werden. Bei denen Mandate aufgefüllt werden, unabhängig davon, ob die Mandatsinhaber auch nur den Schimmer einer Ahnung von dem haben, was sie da entscheiden. Und die, die es wissen könnten, werden erst gar nicht gefragt. Soviel Ignoranz dem einzigen Rohstoff gegen über, den Deutschland hat, nämlich Intelligenz in den Köpfen der Bewohner, kann man nicht ungestraft überleben. Diese verkrusteten Strukturen sind tödlich. 

Vielleicht – dies sei kein vorläufiges Fazit, sondern der Beginn einer hoffentlich intensiven Diskussion – hat Solingen ja nicht seine Probleme, weil falsch entschiedenen wurde. Sondern weil die Falschen entschieden haben, die gar nicht wussten, was richtig und was falsch sein könnte.